Mein Take zu Sölden

Vor drei Wochen hat Greenpeace Bilder [1] veröffentlicht, auf denen in Sölden am Weltcuphang Eis von Baggern abgetragen und Felsen gesprengt wurden und somit wieder eine Diskussion über Nachhaltigkeit im Skisport angeregt. Ich habe mit POW auch ein kurzes Statement [2] dazu abgegeben, will die Geschichte in diesem Blogpost aber nochmal differenzierter betrachten und in Kontext stellen.

Zuerst möchte ich festhalten, dass POW und ich unserem Sport nicht schaden wollen. Skifahren bereitet mir sehr viel Freude und mit meinem Klimaaktivismus geht es mir unter anderem auch um den Erhalt dieser Sportart. Ich kritisiere zwar gerne Akteure in der Szene, einfach weil vieles falsch läuft, stelle mich aber auch gerne auf ihre Seite, wenn die Kritik von anderer Seite unverhältnismäßig wird. Außerdem glaube ich, dem Image unseres Sports mit meiner Kritik sogar zu helfen, indem ich zeige, dass es auch Personen in der Branche gibt, die über den Tellerrand blicken können und nicht nur Dollarscheine in den Augen haben.

Ein sehr kluger Mann hat vor kurzem zu mir gesagt: „Es muss sich viel ändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist.“

Die Bilder aus Sölden haben mich im ersten Moment wirklich wütend gemacht. Nachdem ich schon so oft gehört habe, wie wichtig unsere Gletscher sind, und dass wir Probleme bekommen werden, wenn sie einmal weg sind, war es für mich unerträglich, einem Bagger dabei zuzuschauen, wie er in einer meterhohen Eiswand steht und diese abgräbt. Ich brauchte etwas Zeit, um mich zu beruhigen und die Sache nüchterner anzugehen.

Betrachtet man den Rettenbachferner mit etwas Abstand, erkennt man, dass sich der Gletscher in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark zurückgezogen hat, mittlerweile schon bis zum oberen Drittel der Weltcuppiste. Das ist eine Folge der menschgemachten Klimaerhitzung, aber nicht die Schuld der Liftgesellschaften. Um dennoch den Weltcupauftakt Mitte Oktober veranstalten zu können, und vielleicht auch um die Piste für Publikumsskilauf zu erhalten, wurde dieser Teil des Gletschers jeden Sommer mit Planen abgedeckt, damit er langsamer schmilzt. Heuer haben sich die Verantwortlichen dafür entschieden, dies nicht mehr zu tun, sondern das zuvor erhaltene Eis abzugraben, die schroffe Felslandschaft darunter zu begradigen und wahrscheinlich weitere Beschneiungsanlagen zu installieren, um weiter den frühen Rennsaisonstart durchzuführen. Warum diese Entscheidung heuer kam, weiß ich nicht genau, ich habe aber gehört, die Piste wäre zu schmal, zu steil und somit auch zu gefährlich geworden.

In der Wintertourismusbranche haben die meisten schon mitbekommen, dass es wärmer wird. In den nächsten Jahrzehnten werden viele niedrig gelegene Skigebiete den Skibetrieb einstellen müssen, weil es immer schwieriger werden wird, diesen wirtschaftlich zu betreiben. Gleichzeitig werden die Gletscher verschwinden, auch jene, wo schon Lifte stehen. Diese Entwicklung ist auch mit den radikalsten Klimaschutzmaßnahmen nicht mehr aufzuhalten. Diesen Schaden haben wir schon angerichtet.

Wollen wir also in Zukunft noch Ski fahren, müssen wir das in höheren Lagen tun. Dabei würde ich es klug finden, bestehende Infrastruktur, die Seilbahnen unserer heutigen Gletscherskigebiete, zu nutzen, anstatt neue zubauen. Diesen Gedanken hatten schon viele vor mir und es ist Common Sense in der Branche, dass die heutigen Gletscherskigebiete in Zukunft unsere Winterskigebiete sein werden. Da stimmen auch Umweltschützer*innen zu. Dafür müssen die Felsen, die langsam von Gletscher freigelegt werden, zu Pisten planiert werden. Genau das können wir gerade in Sölden beobachten. Die Kritik an dieser Baustelle ist also teilweise ungerechtfertigt.

Das heißt aber nicht, dass die Bergbahnen alles richtig machen. Zu dem gerade erörterten Deal gehört nämlich auch, dass keine neuen, unberührten Naturlandschaften erschlossen werden.

Seit einigen Jahren planen die Betreiber*innen der Gletscherskigebiete Sölden und Pitztal einen Zusammenschluss durch eine neue Bahn. Diese Pläne wurden von Einheimischen bekämpft und schlussendlich durch eine Volksbefragung in der Gemeinde St. Leonhard im Pitztal knapp verhindert. Vor ein paar Tagen wurden übrigens drei Mitglieder der Wahlbehörde zu Haftstrafen verurteilt, weil sie bei dieser Volksbefragung Pro-Stimmen für das Projekt gefälscht haben. [3]

Trotzdem planen die Pitztaler Gletscherbahnen nun zwei neue Lifte und Pisten auf unberührtem Gletschergebiet in genau demselben Bereich. Die neue Bergstation soll etwa 100 Meter unter der ursprünglich geplanten Station für den Zusammenschluss gebaut werden. [4,5] Dieses Vorgehen verurteile ich aufs Schärfste.

Mein nächster Kritikpunkt richtet sich wahrscheinlich wenig überraschend gegen den frühen Start der Rennsaison. Im Anhang unseres offenen Briefs, den 500 aktive FIS-Athlet*innen unterschrieben haben und den ich im Februar an die FIS übergab, wurde auch ein späterer Saisonstart vorgeschlagen, nämlich Ende November. Ich habe in der Rennszene schon länger keine Stimme mehr gehört, die den frühen Saisonstart noch verteidigt. Alle, die daran festhalten, werden meiner Ansicht zurecht kritisiert und schaden dem gesamten Sport.

Ich könnte noch viele Punkte nennen, die in Sölden besser laufen könnten, möchte aber an dieser Stelle klarstellen, dass die Verantwortlichen dort auch nur innerhalb eines Systems operieren, dass klimaschädliches Verhalten belohnt. Der Auslöser für diese Baustelle, um die jetzt so hitzig diskutiert wird, ist immer noch die Klimakrise und die lösen wir nur, indem wir gemeinsam einen Systemwandel, der von Regierungen umgesetzt werden muss [6], einfordern, und zwar schnell.

Ohne einen baldigen Wandel hin zu Klimagerechtigkeit droht nämlich der Zusammenbruch unserer Zivilisation, ohne die es auch keinen Wintertourismus oder Weltcup gibt.

 

 

Quellen:

[1] https://greenpeace.at/presse/greenpeace-deckt-auf-tiroler-gletscher-fuer-ski-weltcup-opening-in-soelden-teilweise-zerstoert/

[2] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230918_OTS0092/zerstoerung-des-rettenbachferners-in-soelden-fuer-ski-weltcup

[3] https://kurier.at/chronik/oesterreich/gericht-schuldspruch-prozess-urteil-tirol-gletscherehe/402617880

[4] https://www.wwf.at/das-schuetzen-wir/alpen/oetztal-pitztal/

[5] https://www.alpenverein.at/portal/service/presse/2023/2023_03_23_Erschliessungswelle-Oetztaler-Alpen.php

[6] https://klimarat.org/wp-content/uploads/Klimarat-Endbericht-WEB.pdf

 

 

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